Corona-Pandemie: Die Zeit läuft davon

Die Politik hat sich in der Corona-Pandemie eine lange Reihe Fehler geleistet. Meist war es falsche Kommunikation. In der vierten Welle läuft dem Land nun die Zeit davon. 

Maybrit Illner, 2. Dezember. Der designierte Bundesjustizminister hat wieder keinen guten Tag erwischt. Er geht den sächsischen Ministerpräsidenten auf dessen Bitte, etwas gegen rechtsextreme Telegram-Communities zu unternehmen, frontal an. Wechselt unvermittelt das Thema, fordert, Sachsen solle das vom Bund gestellte Geld in die Impfkampagne stecken. Michael Kretschmers empörte Reaktion gipfelt in Marco Buschmanns Gegenreplik: „Herr Kretschmer, bitte reißen Sie sich am Riemen.“ Das Empörungs-Pingpong dauert ungefähr zwei Minuten und am Ende liegt wieder mal klar auf der Hand: die Bundesrepublik hat ein ernstes Problem nicht nur mit dem Corona-Virus, sondern auch mit ihrem politischen Personal.

Die Pandemie-Politik schaukelt nun bald zwei Jahre zwischen den Corona-Wellen, zwischen Winter, Herbst, Frühjahr und Sommer, dass einem ganz schlecht werden kann. Und das liegt nicht nur am aktuellen Interregnum zwischen Großer und Ampelkoalition. 

Im Wochenrhythmus nachgebessert

Häufig sind es Kommunikationsprobleme. Von Marco Buschmann war eingangs bereits die Rede. Der 27. Oktober in der Berliner Bundespressekonferenz hallt lange nach. Er erklärt womöglich, warum Buschmann nun so aggressiv auftritt, wie gestern in Illners ZDF-Talk. Am 27. Oktober war es jener FDP-Buschmann, der die Pandemie juristisch für beendet erklärte. In den Nebenrollen: Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Dirk Wiese (SPD). Sie hatten ihm dabei assistiert, wirkten wie gelb gebrieft. Wohl selten war ein Gesetzentwurf so schnell von der Realität überholt. Seither wird im Wochenrhythmus nachgebessert am Pandemie-Gesetz der Ampel-Parteien. 

Die Ampel mag sich nun herausreden, der bisherige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sei schuld, habe er doch bereits am 24. Oktober das juristische Ende der Pandemie in Aussicht gestellt. Überzeugend ist das nicht.

Anderes Beispiel: Die Bevölkerung wird in der vierten Welle der Corona-Pandemie jetzt zu Beginn des Winters aufgefordert, sich möglichst schnell boostern zu lassen. Das kommt zwar im Grunde zu spät, ist natürlich dennoch richtig. Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz verspricht in diesem Zusammenhang gar 30 Millionen Impfungen noch vor Weihnachten. Eine ehrgeizige Zahl, wenn nun nur noch 20 Tage bleiben. Impfstoff ist angeblich genug da und rund 70 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind wahrscheinlich willig. 

Aus der Zeit gefallen: die Stiko

Sie stoßen aber auf ganz konkrete Probleme. Etwa auf Hausärzte, die partout nur über 70-Jährigen die Auffrischungsimpfung verabreichen wollen. Oder keinen Tag vor Ablauf der Sechs-Monatsfrist die Spritze setzen wollen. Hier scheint ein anderes Desaster durch: das der Ständigen Impfkommission (Stiko). Eines ehrenamtlichen Gremiums, das offenbar nach Feierabend Zeit zu finden hat, über die Zulassung von Impfstoffen zu entscheiden. Das Prozedere scheint angesichts der Corona-Pandemie aus der Zeit gefallen. Doch die Hausärzte hören auf die Stiko wie auf den lieben Gott. 

Und selbst die offiziellen Impfzentren rücken beim Thema Booster-Impfung nur zögerlich vom Sechs-Monats-Mantra der Stiko ab. In Schleswig-Holstein etwa, das bundesweit mittlerweile gemeinsam mit dem Land Bremen als Impfvorbild gilt, darf man seine Erst- und Zweit-Impfung nun nach immerhin fünf Monaten auffrischen lassen. Und 60 muss man seit gestern auch nicht mehr sein. Ein Großteil der Bevölkerung wird so erst im neuen Jahr und mithin am Ende des Winters – und eher nach der vierten Welle – geboostert. Wer dabei die 30-Millionen-PR der künftigen Bundesregierung im Kopf hat, kann nur sagen: Zu spät, zu wenig. 

Zu spät, zu wenig

Kommunikationsfehler entfalten in einer oft eine fatale Wirkung. Erst recht in der Corona-Pandemie. Es gibt zahlreiche Beispiele dafür in Bund und Ländern. Das frühzeitige Ausschließen einer jeglichen Impfflicht, das der Politik jetzt auf die Füße fällt. Spahns Versuch, Biontech künstlich zu verknappen gehört dazu wie Kretschmers sommerliche Abschaffung der Maskenpflicht in Sachsen. Und wer erinnert sich noch an Armin Laschets Satz, jetzt sei nicht die Zeit, über Auffrischungsimpfungen nachzudenken? Überhaupt der Sommer und der Wahlkampf: Die im August, September und Oktober verlorene Zeit ist weder bei Erstimpfungen noch beim Boostern wieder gut zu machen. 

Frank Behrens

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