Daniel Boyd: Das Lineare brechen

Der Berliner Gropius-Bau zeigt noch bis zum 9. Juli Werke des australischen Künstlers Daniel Boyd. Eine Ausstellung, die einem die Schuhe ausziehen kann.

Manchmal sind die Ausstellungen die besten, in die man durch Zufall gerät. Am vergangenen Wochenende in Berlin habe ich mich spontan für den Gropius-Bau entschieden, weil mich die Ausstellungen dort in den vergangenen 30 Jahren eigentlich nie enttäuscht haben. Manchmal sogar begeistert.

So auch dieses Mal. Daniel Boyd war mir kein Begriff. Der 41-Jährige rechnet sich zu den australischen „First Nations“. Das heißt, seine Vorfahren lebten bereits auf dem kleinsten Kontinent, bevor die Europäer ihn kannten; die Bezeichnung „Aboriginal“ lehnt er wie viele andere als Fremdbezeichnung ab. Boyd stammt aus der Gegend um das nordaustralische, tropisch geprägte Cairns im Bundesstaat Queensland.

“Linsen” aus Archivkleber

Er hat als Kind angefangen zu zeichnen und verkaufte seine Werke ursprünglich an Touristen, die das Great Barrier Reef besuchten. Mittlerweile hat Boyd, der 2014 den Bulgari Art Award der Art Gallery of New South Wales in Sydney gewann, sich auf eine spezielle Technik konzentriert. Er überzieht seine Leinwände mit Punkten aus Archivkleber, die er als „Linsen“ bezeichnet. Ihm geht es darum, den westlichen Begriff des Linearen aufzulösen, was er unter anderem mit den Linsen anstrebt, die auf ihre Art immer nur ein bestimmtes Detail des Ganzen freigeben und definieren.

Boyd versteht seine Kunst als inspiriert durch Édouard Glissant, Dichter und Philosoph, geboren 1928 auf Martinique, gestorben 2011 in Paris. Glissant gilt als Vordenker postkolonialer Identität und Kulturtheorie; er widersetzte sich in seinem Konzept des „Rechts auf Opazität“ dem westlichen Begriff der Transparenz, der alles einebne und auslösche. Dieses Konzept greift Daniel Boyd in seiner Kunst auf.

Die Fenster im ersten Geschoss des Gropius-Baus sind mit Lochfolie beklebt. Foto: Frank Behrens
Die Fenster im ersten Geschoss des Gropius-Baus sind mit Lochfolie beklebt. Foto: Frank Behrens
Zwischen “Pointillismus” und Kunst der “First Nations”

Es entstehen Werke, die einerseits an den spätimpressionistischen „Pointillismus“ erinnern, der ja etwa durch Paul Gauguin auch Bezüge zur Südsee, also die Großregion von Glissant und Boyd, besitzt. Andererseits gemahnen die Werke an die typische Kunst der australischen „First Nations“, wie sie jeder Australien-Tourist beispielsweise von den bunt bemalten Bumerangs kennt.

Für den Gropius-Bau, der 44 Werke Boyds zeigt, dazu zwei Großinstallationen, bedeutet die Ausstellung zugleich einen partiellen „Umbau“, da einerseits sämtliche Fenster im ersten Obergeschoss des Gebäudes und andererseits das Erdgeschoss der Galerie mit gelochter Archivfolie beklebt wurden. Diesen Bereich dürfen Besucher, nachdem sie ihre Schuhe ausgezogen haben, betreten und sich über die entstehenden Spiegeleffekte wundern.

Das Erdgeschoss des Gropius-Baus: Besucher dürfen die mit Loch- und Spiegelfolie beklebte Fläche betreten. Foto: Frank Behrens
Das Erdgeschoss des Gropius-Baus: Besucher dürfen die mit Loch- und Spiegelfolie beklebte Fläche betreten. Foto: Frank Behrens
Von der Schwester bis zur Königin

Die Ausstellung, die im Erdgeschoss von der Schau „Indigo Waves and Other Stories“, die sich mit dem Raum um den Indischen Ozean, dem afrasischen Meer, auseinandersetzt, begleitet wird, war für mich definitiv eine positive Überraschung. Boyd nutzt für seine Werke Photographien als Vorlage, private wie historische. Es entstehen somit sehr breit gefächerte Motive, die seine Schwester, aber auch die verstorbene Königin Elisabeth II. zeigen. Die Bandbreite reicht zudem von raumfüllend bis zum Aktentaschenformat. Begleitet werden die Besucher dabei immer vom Zwielicht, das die Lochfolie auf den Fenstern im Sommer über die Räume legt.

Frank Behrens

Daniel Boyd: Rainbow Serpent (Version), Gropius-Bau Berlin, noch bis zum 9. Juli 2023.

Fotos: Frank Behrens

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