Showdown beim Schmuddelkind

Deutschlands größte Boulevardzeitung, das Schmuddelkind Bild, bekommt wieder eine neue Chefredaktion. Medien-Deutschland rätselt über die Ursachen.

Lange gefackelt wird bei Axel Springer traditionell nicht. Der Berliner Medienkonzern wird seit jeher streng hierarchisch, traditionell patriarchalisch geführt. Wie es sich für ein konservatives Medienhaus offenbar gehört. Entscheidungen sind meist bereits umgesetzt, wenn sie verkündet werden. So auch am gestrigen Donnerstag, als Johannes Boie, Alexandra Würzbach und Claus Strunz, die komplette Bild-Chefredaktion also, vor die Tür gesetzt und dies den Mitarbeiter*innen im Berliner Springer-Hochhaus praktisch zeitgleich verkündet wurde.

Die Neue hat schon einen Schreibtisch in Berlin

Marion Horn hatte zu dem Zeitpunkt bereits einen Schreibtisch in der 16. Etage wie der Spiegel schreibt; die Freitags-Ausgabe des Boulevardblatts wurde schon unter ihrer Ägide produziert. Der Produktionsstart am Donnerstagmorgen muss aber noch unter dem alten Team erfolgt sein. So ein Chefredakteurswechsel bei Europas größter Boulevardzeitung hat geheimdienstliche Dimensionen. Alles unter dem milden Blick der Verlegerwitwe Friede Springer.

Marion Horn, Screenshot des Bild.de-Impressums (Frank Behrens)
Marion Horn, Screenshot des Bild.de-Impressums (Frank Behrens)

Horn ist keine Unbekannte bei Springer. Von 2013 bis 2019 war sie die erste weibliche Chefredakteurin der „Bild am Sonntag“; insgesamt war sie 25 Jahre bei Springer, bevor sie 2019 auf eigenen Wunsch ausschied und Anfang 2021 bei einer PR-Agentur anheuerte. Nun also ihre überraschende Rückkehr. Mathias Döpfner, Erbe und Vollstrecker der Verlegerwitwe, lässt folgendes Statement verbreiten: „Ich freue mich sehr, dass Marion Horn und Robert Schneider wieder zurück zu Axel Springer und Bild kommen. Sie stehen für unseren Weg in die Zukunft.“

Nebulöser Abgang

Robert Schneider, ehemaliger Focus-Chefredakteur, steht bereits seit Dezember auf Abruf, soll erst am 17. April bei Bild einsteigen, nun unter Marion Horn und nicht unter Johannes Boie. Warum der gehen musste, bleibt unklar. Sein Abgang bei Bild wirkt in etwa so nebulös und wenig greifbar wie seine Person. Boie hatte einst das Online-Abo-Modell bei der Süddeutschen mit aufgebaut, war 2017 nach Berlin gewechselt und persönlicher Assistent Döpfners geworden. Es folgte die Chefredaktion der Welt am Sonntag und im Oktober 2021, nach dem unrühmlichen Abgang Julian Reichelts, die Bild-Chefredaktion. Döpfner hat kaum lobende Worte für ihn und seine mitgeschassten Kolleg*innen: „Johannes Boie, Alexandra Würzbach und Claus Strunz haben Bild über unterschiedliche Zeiträume maßgeblich geprägt. Für ihren Einsatz und ihre Leistungen danke ich ihnen sehr.“

Der Abgang von Würzbach und Strunz ist weniger überraschend, sie galten spätestens seit dem Scheitern des krawalligen BildTV als angezählt. Warum und ob Boie bei Döpfner in Ungnade gefallen ist, bleibt unklar. Klar, er konnte den kontinuierlichen, seit Jahren anhaltenden Auflagenrückgang der Bild nicht aufhalten. Aber doch verlangsamen. Für den Skandalsender BildTV stand mit Strunz ein passender Schuldiger bereit. Was also hat Boie aus Sicht der Verlagsleitung falsch gemacht? Womöglich hat er nur nicht alles richtig gemacht.

Keine Ideen mehr für das Schmuddelkind

Verwunderlich ist, warum die Springer-Vorstandesetage in Horn und Schneider die Zukunft sieht. Objektiv sind sie eher Leute der Vergangenheit. Horn war seit Jahren aus der Branche verschwunden und das boulevardisierte, im Abstieg begriffene Ex-Nachrichtenmagazin Focus ist für Schneider, dem vor allem intime Kenntnisse des Berliner Nachtlebens nachgesagt werden, eben kein Ruhmesblatt. Ein bisschen scheint es, als gingen Döpfner, der sich nach seinen US-Beteiligungen gerne als global agierender Verleger sieht, die Ideen für sein deutsches Schmuddelkind aus. Die Süddeutsche schreibt ebenfalls etwas ratlos von einem „Salto rückwärts in die Vergangenheit“, während die Frankfurter Allgemeine den gesamten Vorgang als „Eklat“ beschreibt.

Das alles ficht Mathias Döpfner nicht an. Einen Ruf hat er seit dem verschleppten Rauswurf Reichelts und seinen in dem Zusammenhang publik gewordenen Äußerungen („DDR 2.0“) kaum noch zu verlieren. Den Posten des Präsidenten des Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger seit dem 23. November 2022 auch nicht mehr.

Frank Behrens

 

Beitragsbild:
Schlecht ausbalanciert: Axel-Springer-Konzernzentrale in Berlin-Kreuzberg. Foto: Frank Behrens

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