Die Krise bleibt

2022 markiert einen Wendepunkt: Die Krise wird permanent. Das heißt nicht, dass die Politik machtlos ist. Sie muss sich gegen die Krise beweisen. Auch 2023.

2022 wird als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem klar wurde, dass die Krise nicht einfach gehen wird. Seit der Finanzkrise 2008 haben die westlichen Gesellschaften ohne Unterlass eine dichte Abfolge an Krisen zu bewältigen.

Auf die Finanzkrise, die im Oktober 2008 mit dem Zusammenbruch der Investmentbanker von Lehman Brothers offensichtlich geworden war, folgte von 2010 bis 2013 die Eurokrise, die insbesondere südeuropäische Staaten wie Griechenland, Italien, Portugal und Spanien hart traf. Im März 2011 löste ein Tsunami das Reaktorunglück von Fukushima aus. Deutschland leitete unter der damals schwarz-gelben Regierung Merkel umgehend den Ausstieg aus der Kernkraft ein.

Krim 2014

2014 besetzte Russland die Krim, eskalierte den Konflikt im Donbass. Dort, über dem Donbass, kam es im Sommer 2014 zum Abschuss von MH 17. 2015 und 2016 hielten die Flüchtlingskrise, insbesondere ausgelöst durch den Bürgerkrieg in Syrien, aber auch die Konflikte in Irak, Iran und Afghanistan sowie auf dem afrikanischen Kontinent, die europäischen Gesellschaften in Atem.

Ab Anfang 2015 trafen zudem immer wieder islamistische Terroranschläge die Staaten Westeuropas – genannt seien exemplarisch die Attacke auf das Satiremagazin Charlie Hebdo in Paris im Januar 2015, die Pariser Terroranschläge vom November 2015 unter anderem auf das Bataclan und das Stade de France, die Anschläge von Brüssel im März 2016, der Anschlag von Nizza am 14. Juli 2016 und der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016.

Donald Trump

Die Präsidentschaft Donald Trumps ab Januar 2017 löste eine Dauerkrise in den transatlantischen Beziehungen aus. Zudem warf sie ein Schlaglicht auf die Bedrohung westlicher Gesellschaften durch extremistische, insbesondere rechtspopulistische Bewegungen. Durch Trump wurde der globale Charakter des Rechtspopulismus offenbar. Wie ein roter Faden zieht sich mutmaßliche oder nachgewiesene russische Unterstützung durch die Welt westlicher Rechtspopulisten – vom französischen Front National über Trumps „MAGA“-Bewegung bis hin zur deutschen AfD und Österreichs FPÖ. Italiens Silvio Berlusconi ist persönlich mit Wladimir Putin befreundet. Der im Juni 2016 durch Referendum herbeigeführte Brexit, der das Vereinigte Königreich aus der EU stürzte, gehört ebenfalls in diesen Kontext. Trumps Präsidentschaft endete im Januar 2021 mit einem gescheiterten Putschversuch – dem Sturm eines von ihm persönlich aufgehetzten Pöbels auf das Capitol in Washington D.C.

Ende 2019 trat im chinesischen Wuhan das Covid-19-Virus auf die welthistorische Bühne. In der Folge kam es zu einer weltumspannenden Pandemie, die in immer neuen Wellen die Menschen aller Kontinente heimsuchte. Die folgenschwerste Seuche seit der Spanischen Grippe am Ende des Ersten Weltkriegs. Bis Dezember 2022 sind dem Virus 6,6 Millionen Menschen zum Opfer gefallen. Eine beispiellose, bis dahin unvorstellbare Serie von Lockdowns insbesondere in den Jahren 2020 und 2021 sorgte gerade in den Staaten Nordamerikas und Westeuropas für erhebliche politische Unruhe. Die impffeindliche Querdenker-Szene führte zu einem Schulterschluss esoterischer Kreise mit Rechtspopulisten und -extremisten.

Covid-19 kehrt nach China zurück

China selbst glaubte die Pandemie mit einer rigiden Covid-19-Strategie in den Griff zu bekommen; Ende 2022 musste die Regierung in Peking ihr Scheitern eingestehen. Nach drei Jahren wütet das Virus in China nun erneut – zu einem Zeitpunkt, da die Länder des Westens das ersehnte Ziel der „Herdenimmunität“ erreicht zu haben hoffen.

Am 24. Februar 2022 überfiel Putins Russland den Nachbarn Ukraine. Nach anfänglich schnellem russischen Vormarsch erstarrte der Konflikt bald zu einem Stellungskrieg mit regelmäßigen verheerenden russischen Luftangriffen auf die ukrainische Zivilbevölkerung und Infrastruktur – bei partiellen Erfolgen der Ukraine an der Front im Süden und Osten des Landes. Der russische Überfall auf die Ukraine forderte bis dato bis zu 200.000 Opfer auf beiden Seiten. Niemand kennt die wirklichen Zahlen. Russische Truppen verüben in den von ihnen besetzten Gebieten brutale Kriegsverbrechen, morden und foltern die Zivilbevölkerung. Es ist von 7 Millionen Binnenflüchtlingen und weiteren 7,5 Millionen ukrainischen Flüchtlingen in Europa die Rede. Die Welt ist wieder zweigeteilt in Freunde und Feinde Russlands. Die Rolle Chinas bleibt dabei ambivalent.

Die Klimakrise

Über all diesen Krisen, zum Teil von ihnen weiter angeheizt und mit ihnen in Zusammenhang, steht die Klimakrise. Sie macht unmissverständlich klar, dass die Menschheit an einem Scheideweg steht. Man kann Putins Amoklauf gegen seinen ukrainischen Nachbarn und „den Westen“ auch so verstehen – ein Aufbäumen gegen das absehbare Ende des russischen Geschäftsmodells. Russland lebt seit dem Ende der Sowjetunion vom Export von Öl und Gas. Das Ende des fossilen Zeitalters ist aber unausweichlich. Exemplarisch wird uns dies an einem Silvesterfest in Deutschland mit Temperaturen bis zu 20 Grad Celsius vor Augen geführt, so warm wie nie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im 19. Jahrhundert.

Die Berliner Ampelkoalition wird daran gemessen werden, wie sie auf die multiplen Krisen reagiert. Durch den russischen Überfall auf die Ukraine wurde die Klimakrise zur Energiekrise und die Energiekrise zur Klimakrise. Findet Rot-Grün-Gelb die richtigen Antworten? Klar ist, dass der Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft nun aus einem zweiten Grund zwingend wird. Wir sägen uns nicht nur mittelfristig den Ast ab, auf dem wir sitzen. Nein, mit Russland fällt auch der wichtigste Lieferant von billigem Öl und Gas weg – den Treibstoffen, die allen Bekenntnissen zu einer klimagerechten Energiewende zum Trotz den wirtschaftlichen Aufschwung der 2010er Jahre wesentlich mitbefeuert haben. Das ist nun vorbei.

Und doch bleiben Zweifel. Warum ist es so viel einfacher, das Benzin dauerhaft und wirkungsvoll zu rabattieren als die Menschen mit günstigen ÖPNV-Tickets auszustatten? Warum gelingt es der FDP, die einfachste Energiesparmaßnahme, das Tempolimit auf Autobahnen, die nebenbei auch noch die Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen würde, gegen alle Vernunft zu blockieren? (Nur wenige werden sich erinnern. Aber die FDP war schon einmal weiter. Im November 1973 begründete der damalige FDP-Wirtschaftsminister Hans Friderichs vor dem Bundestag vier autofreie Sonntage und ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen mit der Erfordernis, angesichts der Ölkrise Energie zu sparen.)

Berliner Ampel – Fragen und Zweifel

Warum werden ausgerechnet Kohlekraftwerke wieder hochgefahren, zugleich aber die letzten Kernkraftwerke nach dem Plan von 2011 stillgelegt? Sind die Kapazitäten der neuen LNG-Terminals für Flüssiggas nicht doch überdimensioniert? Spielt hier der gerade in der SPD weit verbreitete Gedanke an das Gas als vermeintliche „Brückentechnologie“ eine Rolle? Wie soll die Mobilitätswende trotz steigender Strompreise gelingen? Wie lassen sich die Preise für klimaneutrale Elektrizität dauerhaft senken? Und – nicht zuletzt und damit zusammenhängend – schafft es die Bundesregierung, die erneuerbaren Energien, also insbesondere Sonne und Wind, aber auch die Wasserkraft, entscheidend zu fördern? Warum ist es nicht längst obligatorisch, jedes Neubaudach mit einem Solarpanel auszustatten?

Viele Fragen an die Ampelkoalition in ihrem zweiten Jahr. Dem Krisenjahr 2023.

Frank Behrens

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