Wenig Abstand

Bund und Länder verkünden am Mittwoch die Einigung vom Montag zum verlängerten Vorweihnachts-Teilshutdown. Die Medien folgen der Entwicklung atemlos und im Hotspot Nummer eins des Landes treten die Corona-Leugner auf die Bühne. Das ist die Lage in Deutschland im Herbst 2020.

Tagesthemen Extra, Sondersendung, Eilmeldung, Breaking News, Einblendung ins laufende Programm. Phoenix hält stundenlang die Kamera auf die leeren Stühle der angekündigten, doch nicht begonnenen Pressekonferenz: Was ist passiert? Ist Diego Maradona gestorben? Ja, das auch. Aber darum geht’s nicht.

Es ist Mittwoch Abend und es geht um eine Entscheidung, die nicht nur die sprichwörtlichen Spatzen seit Montag von den Dächern gepfiffen hatten. Nein, die Entscheidung war bereits mehr oder weniger en détail seit zwei Tagen in sämtlichen wichtigen Medien behandelt worden: Der November-Teilshutdown, ursprünglich als kurzer, schmerzhafter „Wellenbrecher“ rechtzeitig vor den Feiertagen zum Jahresende gedacht, wird bis zum 20. Dezember verlängert, durch die Feiertage mehr oder weniger unterbrochen und mutmaßlich Anfang Januar wieder aufgenommen.

Also im Grunde das seit dem Frühjahr bekannte Hin und Her der Corona-Politik, die sattsam bekannten Abstimmungsrunden der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsident*innen. Meist per Videokonferenz, auf Basis einer Vorlage des Kanzleramts. Diesmal andersrum: auf Basis einer Übereinkunft der Bundesländer. Nun gut. Aber am Ende wurde wohl vor allem darum gestritten, wer es bezahlen soll. Also eigentlich auch nichts Neues. Nichts, das jetzt überrascht hätte.

Die Kernbeschlüsse waren seit Tagen bekannt

Medienschelte ist zwar längst der eigentliche Mainstream. Doch hier lohnte es sich in der Tat einmal zu fragen, warum „die“ Medien, jedenfalls sehr viele und auch die maßgeblichen, dieser eigentlich nur rituellen Videokonferenz der deutschen Regierungschefs eine solche Priorität einräumten. Denn, wie gesagt, die Kernbeschlüsse waren seit zwei Tagen bekannt.

Die aufgeregte Art der Berichterstattung läuft Gefahr, am Ende wider Willen die zu bestätigen, die die Covid19-Pandemie für eine mediengemachte Hysterie halten. Eine Sicht der Dinge, die durch nichts gerechtfertigt. Nicht durch die teils dramatischen gesundheitlichen Folgen der Pandemie und auch nicht durch die tiefgreifenden gesellschaftlichen Auswirkungen.

Den Leugnern den Wind aus den Segeln nehmen

Eine unaufgeregte, sachlich-distanzierte Auseinandersetzung wäre viel eher dazu geeignet, den Skeptikern, Leugnern, selbsternannten „Querdenkern“ wie den üblichen politischen Trittbrettfahrern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Leider scheint eine solch sachliche Auseinandersetzung, die beispielsweise auch wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfordernisse stärker in den Blick nimmt, derzeit nicht in Sicht. Das ist mehr als bedauerlich.

Denn vielleicht wäre die Chance größer, dass uns auf mittlere Sicht dann Bilder wie gestern aus dem thüringischen Hildburghausen häufiger erspart blieben. Dort hatten rund 400 Menschen gegen die Corona-Politik von Bund und Land demonstriert. Teils ohne nötigen Abstand, fast immer ohne Masken. Und das mitten im derzeitigen Covid19-Hotspot Nummer eins der Republik. Inzidenzwert laut Robert-Koch-Institut heute am 26. November: 602,9.

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