Krisen-Kommunikation: Pullover anziehen!

Er hat es gesagt. Er hat Nord Stream 2 gesagt! Ein Blick auf die Krisen-Kommunikation rund um die Ukraine und Putins Truppenaufmarsch.

Die Ukraine-Krise, so schlimme Folgen sie auch noch haben mag, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt in erster Linie ein Schaufenster der Kommunikation. Im Westen, aber nicht nur im Westen.

Denn in Moskau ergriff Wladimir Putin einmal mehr die Gelegenheit, sich als russischer Alleinherrscher, moderner könnte man auch sagen Alleinentscheider, zu präsentieren.

Das begann schon mit dem mittlerweile legendären, ovalen Sechs-Meter-Tisch aus eher geschmackloser italienischer Design-Produktion der neunziger Jahre, an dem der moderne Zar nacheinander Emmanuel Macron und Olaf Scholz platzierte. Angeblich weil die beiden sich nicht von russischen Ärzten auf Covid-19 testen lassen wollten. Putin ist auf Abstand bedacht.

Alles Schuljungen außer Wladimir Wladimirowitsch

Die Szenerie aber, zu der Putin dann öffentlich und scheinbar live sein Sicherheitskabinett um sich versammelte, um schließlich nach einer bemerkenswerten Lektion in russisch-ukrainisch-sowjetischer Geschichte der Ukraine das Recht auf Staatlichkeit abzusprechen, war dann geradezu gespenstisch. Alles Schuljungen außer Wladimir! 

Und die Welt sieht zu, vorgeblich live bei RT und CNN. Auch die beiden Rebellenführer, die der Kremlherrscher per gegenseitiger Unterschrift und Beistandspakt zu Staatsmännern adelte, hatten im Kreml anzutreten wie zwei Pennäler. Anerkannt allerdings wurden sie vorerst trotzdem nur von Russland und Syrien. 

Worauf aber das Sensationelle geschah: Bundeskanzler Olaf Scholz nahm das Wort „Nord Stream 2“ in den Mund! Und stellte nüchtern fest, dass die Zertifizierung der deutsch-russischen Ostsee-Pipeline „jetzt“ ausgesetzt sei. Das „jetzt“ betonte der Bundeskanzler. Damit hatte die Bundesrepublik ihre stärkste Karte ausgespielt.

Eine Pressekonferenz jagt die nächste

Der Bundeskanzler reihte sich damit ein in eine ganze Reihe westlicher Staatsmänner und -frauen, die alle ihre Sanktionen zu kommunizieren hatten. Eine Pressekonferenz jagte die nächste. Krisen-Kommunikation at it’s best. Der britische Premier Boris Johnson will in erster Linie die Milliarden einiger Oligarchen auf Eis legen, die sich in den vergangenen Jahren Wohnungen und Konten in Londongrad zugelegt hatten. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen will vor allem Banken, Finanzmärkte und Handel sanktionieren. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron fordert etwas schwammig „gezielte europäische Sanktionen“ gegen Moskau. Und US-Präsident Joe Biden nimmt in erster Linie russische Banken und Oligarchen ins Visier.

Fast überflüssig zu erwähnen, dass die russische Seite die Sanktionen wohl längst eingepreist hat. Wovon auch einige Reaktionen aus Moskau, etwa über die sozialen Medien, zeugen. Denn die Frage steht im Raum: Wer hängt stärker von wem ab? Russland vom Westen? Oder doch eher der Westen, insbesondere Europa und ganz im Besonderen Deutschland von Russland?

Doch kein Friedensnobelpreis für Olaf Scholz

Besonders tragisch für Scholz: Noch eine knappe Woche zuvor sah es kurzzeitig so aus, als hätte sein Besuch in Moskau, die vier Stunden am Sechs-Meter-Tisch, das Blatt gewendet. Hatte Putin doch zugleich angekündigt, Truppen von den ukrainischen Grenzen abzuziehen. Ein PR-Bluff, wie wir heute wissen. Im Grunde eine glatte Lüge. Aber Scholz konnte sich zwischenzeitlich auf der imaginären Liste des Friedensnobelpreiskomitees in Oslo für 2022 platziert fühlen. Der zweite SPD-Friedenskanzler nach Willy Brandt. Aber so weit kam es nicht. Siehe oben.

Was soll der Westen angesichts der Situation auch anderes tun als zu kommunizieren? NATO-Mitglied ist die Ukraine nicht, somit erfordert ein Angriff auf sie eben nicht den Beistand der NATO-Staaten. Worüber diese froh sein dürften aufgrund des fatalen Risikos, den ein direkter Konflikt mit Moskau bedeutete. Zur Krisen-Kommunikation zählen derzeit auch die öffentlich bekannt gemachten Truppenverlegungen an die NATO-Ostflanke. Da ist ausnahmsweise auch die Bundeswehr dabei, die ihr Kontingent in Litauen nun auf knapp 1000 Soldaten aufstockt. Symbolpolitik nennt man so etwas, in der Partei Die Linke bisweilen auch „Säbelrasseln“. Doch das wäre übertrieben.

Pullover anziehen

Wäre auch gefährlich für Deutschlands Energieversorgung. Denn schließlich kamen zuletzt mehr als 50 Prozent der Gas- und mehr als 40 Prozent der Öllieferungen aus Russland. Angesichts des Standes der Energiewende, also des Ausbaus der Erneuerbaren und der in heutigem Lichte vielleicht doch übereilten Abschaltung der deutschen Kernkraftwerke, bleibt nicht viel mehr als: Faust in der Tasche ballen. Über Sanktionen reden. Und eine alte SPD-Forderung: Pullover anziehen!

Frank Behrens

 

Screenshot: Bayerischer Rundfunk/BR24

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