Lauterbach: Kassandra wird Minister

Die Ampelkoalition mit ihrem Gesundheitsminister Karl Lauterbach scheut vor einem Weihnachts-Lockdown zurück. Ein Blick auf ein nervöses Land vor der Omikron-Wand.

Neulich an der Kasse im Baumarkt. Ein älterer Mann beschwert sich, dass die OP-Masken schon wieder teurer geworden seien. Aktuell 1,99 Euro das Zehnerpack. Wie das denn sein könne. Die Verkäuferin reagiert achselzuckend. Die Nachfrage sei halt wieder hoch. 

Im Stillen überlegte ich wartend, was dem Mann zu sagen sei. Dass er besser FFP2-Masken kaufen solle, weil die wenigstens effektiv vor Infektion schützten? Dass er, der wahrscheinlich sein ganzes Leben CDU gewählt hat, sich besser nicht aufregen solle, denn schließlich funktioniere genau das, was er immer befürwortet hat: Angebot und Nachfrage in der Marktwirtschaft. Okay, das wäre Lookism. Vielleicht war der Mann ja auch SPD-Wähler? Falls das einen Unterscheid macht.

Gefangen zwischen Delta und Omikron

Ich entschied mich, zu schweigen. Was bekanntlich Gold ist. Die Episode zeigt, wie angespannt die Stimmung im Land derzeit ist. Einem Land, gefangen zwischen Welle vier („Delta“) und Welle fünf, manche sprechen gar von einer „Wand“ – Omikron.

Noch dazu ist wieder einmal ganz überraschend Weihnachten und das Land wird von einer neuen Koalition aus SPD, FDP und Grünen regiert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kommt in der Pandemiekommunikation naturgemäß eine Schlüsselrolle zu. Während sein CDU-Vorgänger Jens Spahn in der Öffentlichkeit sicher mit einigem Recht als naßforscher, junger, konservativer Emporkömmling wahrgenommen wurde, verbanden sich mit Lauterbach ganz andere Erwartungen.

Durch seine einschlägige Vergangenheit als Wissenschaftler und Epidemiologe war der SPD-Gesundheitspolitiker in den letzten knapp zwei Jahren in der Öffentlichkeit zu einer Corona-Autorität geworden. Insbesondere auf Twitter hat er sich den Ruf einer Kassandra, die frühzeitig warnt und fordert, hart erarbeitet. Dazu seine zahllosen Auftritte in Talkshows. Und seine Rolle als praktizierender, impfender Arzt, der insbesondere in Kölner Problemvierteln gerne mal die Spritze gegen Covid-19 wandte. Kurzum: Eine empathische Lichtgestalt, angefeindet von Querdenkern, Esoterikern, Corona-Leugnern und Rechtsextremisten.

Das Machbare ist nun die Meßlatte

Umso überraschender für viele nun der Schwenk zum Minister auch in der Kommunikation. Nicht das, was kommen und vielleicht noch zu verhindern sein könnte, ist mehr maßgeblich für Lauterbach. Sondern das vordergründig Machbare ist nun die Meßlatte. Gegen den Rat großer Teile der Wissenschaft gibt es eben keinen harten Lockdown zu Weihnachten. Sondern nur ein mildes Runterfahren der öffentlichen Aktivitäten nach Weihnachten. 

Lauterbach macht nun genau das, was auch Spahn und Merkel nach hartem Ringen mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer wieder und wieder verkünden mussten: Es wird alles nicht so heiß gegessen, wie es zuvor gekocht wurde. Statt harte Kontaktbeschränkungen bekannt zu geben, setzt der Minister primär auf das Ausweiten und Fortführen der Booster-Kampagne. Eventuell auch an den Feiertagen. Aber Hauptsache, die erst einmal herum bekommen. Die Regierungskoalition wettet auf einen vermeintlich milderen Verlauf bei den zahlreichen zu erwartenden Omikron-Infizierten.

Riss zwischen Lauterbach und Wieler

Diese Haltung führte einerseits nur zu einem mühsam gekitteten Riss zwischen Karl Lauterbach und Lothar Wieler, dem Präsidenten des Robert-Koch-Instituts, der angesichts der drohenden Omikron-Wand für harte, unmittelbare Maßnahmen sofort plädiert hatte. Andererseits kommt man als Beobachter nicht um die Frage herum: Mit wem hat Lauterbach eigentlich gerungen, dass er nun so schnell auf eine neue, sehr pragmatische Linie eingeschwenkt ist? Hier und da steht gar der Vorwurf des Opportunismus im Raum.

Mit wem also rang Lauterbach? Bei Spahn und der Alt-Kanzlerin Angela Merkel war es recht klar: Die Bundesländer hatten die Kanzlerin und ehemalige Physikerin zu allerlei Kompromissen genötigt. Sie, die so gerne viel konsequenter gehandelt hätte.

Mit wem rang Karl Lauterbach?

Und Lauterbach? Die FDP fällt einem ein. Die Liberalen, die gerne die Freiheit im Mund tragen und meist eine sehr egoistische Sicht derselben vertreten, hatten seit Anbeginn der Pandemie im Bremserhäuschen gesessen. Marco Buschmanns Auftritt vor der Bundespressekonferenz vom 27. Oktober diesen Jahres, einen Monat nach dem Ampelsieg, ist inzwischen Legende. 

Und: Anders als mit Merkel sitzt seit dem 8. Dezember nun ein Mann im Bundeskanzleramt, von dem offenbar keine harten Entscheidungen in zugespitzten Situationen zu erwarten sind. Bundeskanzler Scholz’ Arbeitsgrundlage ist weniger die Erfordernis. Es ist eher die Meta-Ebene: Wie ist etwas zu verkaufen. Diese Haltung spiegelt sich nicht nur in der Corona-, sondern auch in der Klimakrise. Scholz will nicht durchsetzen, Scholz will im Konsens mitschwimmen. Wenn er Mehrheiten sieht, ist er dabei. Das war für ihn im Falle eines Weihnachts-Lockdowns nicht auszumachen. Der Gesundheitsminister hätte in diesem Punkt keinen Rückhalt genossen.   

Frank Behrens

 

Screenshot: sueddeutsche.de/fb

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