Am Sonntag steht Europa auf der Kippe. Gewinnt Marine Le Pen am 24. April die Stichwahl um die französische Präsidentschaft ist nichts mehr wie es war.
Am vergangenen Dienstag hat Bundeskanzler Olaf Scholz ein „Pressestatement“ gegeben, das fast alle Beobachter*innen ratlos zurückgelassen hat. Unterstützt Deutschland die Ukraine in ihrem Überlebenskampf ohne Vorbedingungen? Oder nicht? Liefert Deutschland schwere Waffen? Oder nicht? Früher gab es nur Kremlologen. Heute gibt es auch Scholzologen, die ganze Abhandlungen über Einstellungen und Absichten des Kanzlers verfassen. Deren Fazit: unklar.
Was heißt das für Europas Zukunft? Es kann einem angst und bange werden. Während im Osten der russische Faschismus sein Haupt erhebt, seit dem 24. Februar seinen größten Nachbarn in Grund und Boden bombt, droht Europa in seine Bestandteile zu zerfallen. Großbritannien hat sich bereits aus der EU verabschiedet. Frankreich droht mit einer rechtsradikalen, von Moskau finanziell abhängigen Präsidentin Le Pen zu folgen.
Ist der Kandidatin zu glauben, wenn sie am vergangenen Mittwoch im Fernsehduell mit Amtsinhaber Emmanuel Macron ihre Austrittspläne relativiert? Kaum. Vielmehr stehen auch die deutsch-französische Freundschaft und die Mitgliedschaft Frankreichs in der Nato zur Disposition.
Wer versperrt Putin den Weg?
Und Deutschland? Der wirtschaftliche Gigant ist wankelmütig und zieht es vor, ein politischer und militärischer Zwerg zu bleiben. Unweigerlich stellt sich die Frage: Wer versperrt Putin den Weg nach Lissabon?
Die Erinnerung an Angela Merkel drängt sich auf, die während der Präsidentschaft Donald Trumps davon sprach, die Abhängigkeit Europas vom amerikanischen Sicherheitsversprechen zu reduzieren. In dieser Beziehung könnte die Lagebeschreibung nicht desaströser sein. Die Abhängigkeit ist seit 2017 eher gewachsen.
Merkel wurde seit 2015 von Teilen der US-Medien zur Führerin der freien Welt ausgerufen. Die Kanzlerin selbst konnte damit nichts anfangen. Wer mag sich vorstellen, dass Olaf Scholz nach einem Sieg Le Pens am kommenden Sonntag und einer erneuten Präsidentschaft Trumps ab 2025 in diese Rolle schlüpfen könnte? Es ist weder ein politischer Wille noch eine militärische Basis zu erkennen, auf der dies geschehen könnte.
Fahren auf Sicht
Scholz könnte diese Rolle an Boris Johnson weiterreichen, ausgerechnet. Doch 2025 liegt in der gegenwärtigen Lage in einer fernen Zukunft. Derzeit ist wieder einmal Fahren auf Sicht angesagt.
Zunächst gilt es, den 24. April in Paris zu überstehen. Und zu hoffen, dass die Bundesregierung nicht ihren nicht-existenten Plan B auspacken muss. Anders ausgedrückt: Noch lebt Franz Ferdinand.
Frank Behrens
Abbildung:
Europa in den Grenzen von 1994.
Foto: Frank Behrens (Quelle: Rand McInally/Westermann Weltatlas 1994)