Frankfurt war Ende Juni unser Ziel. Ein Freund hielt Hochzeit und wir ließen uns die Chance nicht entgehen, diese einmalige Stadt zu besuchen. Ein paar Reminiszenzen, ein neuer Rucksack und ein Einsatz der Berufsfeuerwehr.
Frankfurt am Main gilt unter Deutschlands großen Städten vielen als die unbeliebteste und hässlichste. Hochhäuser, Drogen, Kriminalität und Finanzkapitalismus prägten das Bild der Mainmetropole spätestens seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals machte das Wort von „Krankfurt“ die Runde. Später, in den neunziger Jahren, wurde das Image ein wenig in Richtung „Mainhattan“ aufgehellt. Ich selbst bin seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein großer Fan der Mainmetropole.
Frankfurt im Juni 1976
Mein Vater, aufgewachsen in Kronshagen bei Kiel, hatte in den siebziger Jahren einen alten Schulfreund in Hanau östlich von Frankfurt ausgemacht. Im Sommer 1976 war uns das DFB-Pokalendspiel im Frankfurter Waldstadion am 26. Juni Anlass genug, diesen alten Bekannten und seine Frau zu besuchen. Immerhin spielte der Hamburger SV gegen den 1. FC Kaiserslautern. Die Torhüter: Rudi Kargus (HSV) und Ronnie Hellström (1. FCK). Dass dieses Match, das 2:0 für den HSV ausging (Tore: Peter Nogly und Ole Bjørnmose), der eigentliche Beginn der großen HSV-Ära 1976-83 werden sollte, war damals natürlich überhaupt nicht klar. Doch bereits im Folgejahr holte der HSV den Europapokal der Pokalsieger gegen den RSC Anderlecht. Der große HSV nahm Fahrt auf. 1977 kam Kevin Keegan, 1979 die erste Bundesliga-Meisterschaft.
Für mich war dieses Spiel im Juni 1976 einfach mein erstes Fußballspiel in einem Stadion. Mein Vater erzählt noch heute, ich sei damals sehr klein gewesen und stolz „HSV“ rufend mit entsprechender, gerade gekaufter Fahne durch den Frankfurter Stadtwald gelaufen. Aber hey, ich war acht Jahre alt, besuchte bald die dritte Grundschulklasse und fand es dufte, endlich mal ein richtiges Fußballspiel besuchen zu können. Kurioses Extra unseres Rhein-Main-Besuches: Am späten Abend des Pokalmatches boxte Muhammad Ali gegen den japanischen Catcher Antonio Inoki. Dank meines Opas war ich erfahrener Ali-Fan und verpasste auch diesen annähernd sinnlosen Fight, der im Fernsehen übertragen wurde, nicht.
An den Grenzen des Römischen Reiches
Wir besuchten in diesen späten Junitagen des Jahres ´76 außerdem die Saalburg am Limes – ich lernte also die historischen Grenzen des Römischen Reiches kennen – und fuhren mit dem zitrusgelben Opel Ascona meines Vaters ein wenig kreuz und quer durch Frankfurt. Hie und da und wurden die Fenster heruntergekurbelt. Allerdings gab’s im Fond keine Kurbelfenster. Doch schon da beeindruckten mich die Hochhäuser, die ich so, in dieser Höhe, bislang nicht gesehen hatte. In Kiel war alles mindestens eine Nummer kleiner, in Hamburg war nur die CCH-Bettenburg samt benachbartem Fernsehturm ein kleiner Trost.
Apropos Fernsehturm – während unseres Aufenthalts war der heute „Ginnheimer Spargel“ genannte Frankfurter Turm gerade in Bau. Ich kann mich erinnern, den himmelwärts strebenden Bau vom Limes aus sehen zu können. Übrigens ein kleines Déja-vu, konnte ich doch als Schüler der Grundschule Kirchbarkau den Bau des (neuen, zweiten) Kieler Fernsehturms aus ähnlicher Distanz in den Jahren 1974 und 1975 aus dem Schulbus verfolgen.
Zukunftsoptimismus
Noch im gleichen Jahr 1976 bot sich eine zweite Chance, Frankfurt zu besuchen. Mein Vater hatte seine erste Stelle in der freien Wirtschaft angetreten. Beim italienischen Computer-Hersteller Olivetti. Wo hatte Olivetti damals seine Deutschland-Zentrale? Und wo das Schulungszentrum für neue Mitarbeiter? Richtig – in Frankfurt-Niederrad. Wir besuchten Daddy also. Und ich war wiederum beeindruckt von diesen futuristischen Gewerbebauten und ihrem Interieur aus Plastik. Schalensitzstühle und Schreibtische mit integrierten Ablageschalen. Toll, einfach toll. Wie aus einem zukunftsoptimistischen französischen Spielfilm der frühen Siebziger. Und ganz was anderes als diese alten Schulbänke.
Frankfurt: In den Jahrzehnten dazwischen hat es nur für ein paar kurze Stippvisiten für jeweils wenige Stunden gereicht. Dazu über die Jahre ein paar Vorbei- und Durchfahrten mit Auto und Zug. Am eindrücklichsten noch das Erlebnis 2003 während einer Pressekonferenz in einem der oberen Geschosse des neuen Commerzbank-Towers, damals das höchste Gebäude Europas. Von der Herrentoilette auf den rund 250 Meter tiefer gelegenen Hauptbahnhof, übrigens einen der schönsten in Deutschland, pieseln! Ja, genau. Natürlich nur subjektiv, doch das Pissoir war kunstvoll von Stahl und Glas gerahmt und der Blick atemberaubend.
Die Wolkenkratzer stehen noch
Praktisch auf den Tag genau 46 Jahre nach meinem allerersten also vom 24. bis 26. Juni 2022 unser aktueller Besuch in Rhein-Main. Ich kann bestätigen: Die Frankfurter Wolkenkratzer stehen noch. Und es werden immer mehr. Natürlich weiß ich das, ich verfolge schließlich das Baugeschehen. Wichtigster Anlaufpunkt für mich persönlich daher: die Baustelle des Projekts „Frankfurt Four“. Bis 2024 entstehen dort, in direkter Nachbarschaft zu Commerzbank, Omni-Turm, Maintower und anderen Riesen des Bankenviertels zwei Wolkenkratzer plus zwei Hochhäuser auf engstem Raum: 233, 173, 120 und 100 Meter hoch. Büros, Hotels, Wohnungen; Geschäfte in den Basisgeschossen.
Ich konnte ehrlich gesagt kaum erfassen, wie unglaublich klein der Grund dieses gewaltigen Projekts ist. Habe versucht, es mit meinem 20-Millimeter-Objektiv festzuhalten. Ich glaube, mit wenig Erfolg. In der Gegend bildet sich gerade die erste deutsche Straßenschlucht nach dem Muster nordamerikanischer oder auch australischer Metropolen. Man muss Mainhattan ja nicht immer gleich mit Manhattan vergleichen. San Francisco, Sydney oder Melbourne passen fast ein wenig besser. Die Metropolregion Sydney hat rund 5,5 Millionen Einwohner, das Rhein-Main-Gebiet noch ein paar mehr.
Die Frankfurter Feuerwehr kommt
Zurück zum Frankfurter Roßmarkt. Denn genau hier, an der Baustelle des „Four“, kam die Frankfurter Feuerwehr ins Spiel. Samstag, 25. Juni 2022, gegen zehn Uhr vormittags. Meine Frau erinnerte sich, dass sie ja noch einen Rucksack fürs Büro gebrauchen könnte, jetzt, da das Home Office immer öfter von Anwesenheit vor Ort verdrängt wird. Schwupp war sie im Markenladen verschwunden und ich mit Kamera und Smartphone allein. Große Gallusstraße Ecke Roßmarkt. Das Martinshorn hatte das Anrücken der Löschzüge bereits angekündigt. Zwei Dutzend Feuerwehrleute sprangen aus den Fahrzeugen und in den Häuserblock mit Geschäftszeile, in dem meine Frau gerade ihren neuen Rucksack kaufte.
Also Action vor der Kulisse der derzeit wohl größten deutschen Baustelle. Ich räume ein: Die Dramatik war schnell verraucht. Wie gut. Wahrscheinlich hatte nur jemand in einem der Geschäfte ein Toast verbrannt. Das war schnell klar und ich konnte in aller Ruhe eine kleine Fotoserie schießen, meine Frau war in Sicherheit. Denn wer, wenn nicht die Frankfurter Feuerwehr, bekommt ein verkohltes Toast in den Griff? Eben.
49 Jahre zuvor hatte sie es immerhin mit weit bescheideneren Mitteln und viel geringerer Erfahrung geschafft, den Brand im Rohbau des Selmi-Hochhauses zu löschen. Damals wohl unter dem Gejohle kapitalismuskritischer Studenten der „Frankfurter Schule“: „Heute verbrennen wir dem Selmi sein klein Häuschen!“ Die Frau unseres Hanauer Gastgebers hatte im Juni 1976 davon erzählt, dass sie als Schaulustige auch vor Ort gewesen war. Als Achtjähriger hatte ich fasziniert gelauscht. Beim Gegenbesuch der beiden revanchierten wir uns im Herbst 1976 übrigens mit einem gemeinsamen Besuch auf dem Hamburger Fischmarkt. Auch so ein erstes Mal für mich. Reminiszenzen.
Historisches Frankfurt
Aber Frankfurt, das sind nicht nur Wolkenkratzer. Frankfurt sind auch mehr 1200 Jahre Geschichte seit der Frankfurter Synode 794. Unzählige Kaiserwahlen und -krönungen sprechen aus den Fassaden von Römer und Kaiserdom, bis in die 1960er Jahre das höchste Gebäude der Stadt. Die Paulskirche ist seit 1848 das Symbol für das demokratische Deutschland. Und Frankfurt ist auch kulturelle Vielfalt auf kleinem Raum. Wir nahmen bei unserem Besuch einen Happen davon im Muku in der Dreieichstraße in Sachsenhausen. Japanische Küche ist zum Glück mehr als Sushi.
Mittags kann man dort nicht reservieren, am besten ist man also kurz vor der Öffnung um 12 Uhr vor dem Restaurant. Die Bedienung empfängt in OP-Maske auf dem Bürgersteig. Vor kurzem wäre das noch als typisch japanisch oder koreanisch durchgegangen. Aus den bekannten Gründen sind wir daran längst gewöhnt und haben uns zum Glück großenteils angepasst. Kurz darauf wird uns ein Tisch zugewiesen. Und die studentische Bedienung, männlich, deutsche Muttersprache. Praktisch. Kaltes japanisches Bier vertreibt die typische Sommerhitze des Rhein-Main-Gebiets. Die Kunst und Eleganz der Speisen entschädigt für deren hohe Kosten. Ohne Zweifel.
Frankfurt im Science-Fiction-Roman
An dieser Stelle eine Buchempfehlung. Zoë Beck hat 2020 ein tolles Buch geschrieben: „Paradise City“. Gemeint ist nicht etwa Miami, auch nicht Barcelona oder Los Angeles. Nein, Frankfurt am Main. Das zusammenhängende Stadtgebiet erstreckt sich inzwischen bis nach Gießen, die Stadt hat rund zehn Millionen Einwohner, keiner weiß es genau. Die meisten sind Flüchtlinge. Migranten wie schon heute. Doch die Flüchtlinge der nahen Zukunft kommen aus den Städten des Nordens. Bremen und Hamburg sind längst an die Nordsee verloren. Die schon wieder alte Hauptstadt Berlin befindet sich im Niedergang. Alles drängt nach Frankfurt-Rhein-Main. Kulisse für einen Science-Fiction-Krimi.
Rödelheim – Frankfurt der Frankfurter
Am Abend, einen Tag nach ihrer Hochzeit, waren wir übrigens wieder zu Gast bei meinem Freund und seiner Frau. Die beiden haben einen Kleingarten in Rödelheim. Hier ist das Frankfurt der Frankfurter. Ginnheimer Spargel und auch der Messeturm blicken hie und da am Horizont durch. Aber alles in allem ist alles hier „down to earth“. Ganz normal. Es wächst zusammen, was zusammen gehört, würde ein verstorbener Kanzler a. D. vielleicht sagen: Gurken, Paprika, Chili, Kartoffeln, Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch, Aubergine, Bohnen, Zucchini, Kürbis, Äpfel und Sauerkirschen. Viele Sauerkirschen. Vielen Dank!
Eine Antwort auf „Wie die Frankfurter Feuerwehr meine Frau rettete“