Der Journalist Hartmut Palmer arbeitet das gescheiterte Misstrauensvotum von 1972 in seinem Roman „Verrat am Rhein“ auf. Versteckt ist in dem Buch eine bisher fast übersehene historische Sensation.
Einmal, und ich meine ein einziges Mal im Leben, wurde ich genötigt, österreichischen Strohrum zu trinken. Ein Gesöff mit 80 % Vol. Ich kann es genau datieren: Es war der Morgen des 9. Oktober 1992. Der Ort: Eine Wohnung im ersten Stock an der Meyerbeerstraße im Komponistenviertel in Berlin-Weißensee. Nach damaligem, subjektivem Eindruck tiefster Berliner Osten.
Ich musste mit meiner Vermieterin, einer geschiedenen Lehrerin, und ihrem Lebensgefährten – der mit dem festen Händedruck – anstoßen. Auf Willy Brandt, der am Tag zuvor in Unkel bei Bonn gestorben war.
Wenige Politiker sind so im Bewusstsein der Deutschen verankert wie der erste SPD-Kanzler der Bundesrepublik. Ein ähnliches Kaliber, jedoch von der schwarzen Seite der Macht, ist Franz Josef Strauß. Als der bayerische Ministerpräsident am 3. Oktober 1988 plötzlich und unerwartet starb, war dies an meinem Münchner Gymnasium Anlass zu allerlei – aus heutiger Sicht – geschmacklosen Freudenbekundungen. Dem Trauerzug durch die abendliche Ludwigstraße einige Tage später wohnte ich als innerlich feindlich gesinnter Beobachter bei. Besonders eindrücklich: Das Siegestor trug einen schwarzen Trauerflor.
Antipoden: Brandt und Strauß
Brandt und Strauß – die ideologischen Antipoden der Bundesrepublik der siebziger Jahre – trafen mehrfach aufeinander. So auch am 27. April 1972. Die CDU/CSU-Opposition, wütend und euphorisiert vom Kampf gegen die Brandt’sche Ostpolitik, wagte das konstruktive Misstrauensvotum gegen den verhassten Kanzler.
Die treibende Rolle dabei spielte die CSU und insbesondere ihr Parteichef Strauß. Der nötigte den zaudernden CDU-Vorsitzenden und Oppositionschef Rainer Barzel zu diesem Schritt. Bislang dachte man, die Opposition sei sich damals ihrer Sache aufgrund von Überläufern aus SPD und FDP recht sicher gewesen; das Scheitern des Misstrauensvotums galt seit 1973 und der Steiner-Wienand-Affäre als Werk des Ministeriums für Staatssicherheit und HVA-Chef Markus Wolf, der angeblich die Entspannungspolitik der Regierung Brandt-Scheel retten wollte.
Strauß‘ doppeltes Spiel
Der Journalist Hartmut Palmer, Jahrgang 1941, räumt in seinem Romandebüt (!) „Verrat am Rhein“ nun mit diesem Mythos auf. Demnach war es wohl eben auch Franz Josef Strauß, der wütende Brandt-Opponent jener Tage, der den CDU-Parteichef ins Verderben rennen ließ – und ebenfalls gegen ihn stimmte. Weil er den CDU-Chef für ein Weichei und im Gegensatz zu sich als ungeeignet für das Kanzleramt hielt. Das hatte Barzel bereits 2004, zwei Jahre vor seinem Tod, dem Journalisten Palmer anvertraut. Mit dem Hinweis, dass er, Barzel, Palmer verklagen würde, würde dieser Strauß‘ Verrat zu seinen Lebzeiten offenlegen.
Palmer war es dann auch, der 2006 im Spiegel in der Rubrik „Gestorben“ den Nachruf auf Barzel verfassen durfte. Ein wenig verklausuliert offenbarte er sein Wissen: „Von der Stasi bezahlte Überläufer, aber auch bis heute unbekannte Verräter aus den eigenen Reihen – er (Barzel) selbst zählte Franz Josef Strauß dazu – hatten ihm die Stimme verweigert.“ Die Reaktion, von Palmer fiebernd erwartet, blieb damals aus.
Spätes Romandebüt
Offenbar Grund genug für Palmer, das Thema 15 Jahre später nochmal literarisch anzugehen. In seinem Roman webt er rund um den unionsinternen Verrat von Rainer Barzel eine Spionage- und ostwestdeutsche Familiengeschichte, die den Stoff zu einem historisch inspirierten Thriller macht. Wahrscheinlich eines der bemerkenswertesten Romandebüts eines 80-Jährigen überhaupt. Auch wenn ich die fiktive Räuberpistole rund um den historischen Kern der Geschichte nicht gebraucht hätte – das Lesen dieses Kriminalstoffs macht Spaß. Fesselt teilweise sogar.
Aufmerksam wurde ich auf das Buch und seine Geschichte übrigens durch Heribert Prantl, der den Roman von Palmer in einem Text und in einer Videokolumne zum 50. Jahrestag des konstruktiven Misstrauensvotums von 1972 erwähnte. Wie ich ein bisschen erstaunt, dass der Coup des Hartmut Palmer so wenig Staub aufwirbelt.
Frank Behrens
Hartmut Palmer: Verrat am Rhein. 411 Seiten, Gmeiner-Verlag Meßkirch 2022, 17 Euro.
Foto (Repro Cover): Frank Behrens
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