Ralf Langroth hat die Affäre Otto John zu einem Thriller verarbeitet – Band zwei seiner Philipp-Gerber-Reihe um einen ehemals exilierten BKA-Kommissar.
Manchmal ist der Besuch in einem echten Buchladen doch ergiebig. Als ich im Frühjahr auf Hartmut Palmers „Verrat am Rhein“ aufmerksam geworden war und es im Buchladen vor Ort bestellte, fragte mich der Buchhändler, ob ich denn auch Ralf Langroth kenne. „Nein“, lautete meine Antwort. Der habe ein Buch über einen Verfassungsschutzpräsidenten geschrieben, der vom einen auf den anderen Tag verschwunden sei, so der Buchhändler.
Tiedge war’s nicht
Mir kam spontan Hansjoachim Tiedge in den Sinn, der sich im August 1985 nach Ost-Berlin abgesetzt hatte. Eine Affäre, an die ich mich noch gut erinnern kann. Bei Ralf Langroth geht es jedoch um Otto John, der am 20. Juli 1954 die damals noch offene Sektorengrenze in den sowjetischen Sektor überschritt und in der Folge an einigen leicht skurrilen Propaganda-Veranstaltungen für die SED teilnahm. Stichwort Stalinallee. Für diesen Fall bin ich dann doch zu jung. Gelesen hatte ich aber schon einmal darüber. Bis heute sind die Hintergründe der Causa John nicht wirklich geklärt.
In kurzem Abstand kaufte ich die beiden bisher erschienenen Romane von Langroths Krimireihe, die sich beide um die „Sicherungsgruppe Bonn“ des BKA in den fünfziger Jahren drehen. „Die Akte Adenauer“ spielt während des Bundestagswahlkampfs 1953; die Handlung dreht sich um in den Wäldern der Eifel versprengte Werwölfe, die alles tun, um die junge Bonner Republik zu attackieren. Inklusive eines fiktiven Attentats auf den damals aufstrebenden Oppositionspolitiker Herbert Wehner (SPD, davor bekanntermaßen KPD).
Die Affäre Otto John
Folge zwei, „Ein Präsident verschwindet“, arbeitet die besagten Ereignisse um Otto John im Sommer 1954 auf. Nach der Lektüre beider Bücher ist mein Urteil klar: Der Roman zu Otto John ist mir näher. Weil er näher an den historischen Ereignissen ist.
Otto John (1909-97) war Jurist, gehörte zum Widerstandskreis um die Verschwörer des 20. Juli 1944. Wenige Tage nach dem Attentat auf Hitler war ihm die Flucht nach Großbritannien geglückt. Er arbeitete in den letzten Kriegsmonaten für einen britischen Propagandasender. Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück und war von 1950 bis 1954 erster Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz. Mit der Familie des Bundespräsidenten Theodor Heuss war er bekannt – neben der noch mitredenden britischen Besatzungsmacht war er sein Fürsprecher; Bundeskanzler Konrad Adenauer hingegen hatte seine Berufung skeptisch gesehen.
Der 20. Juli
Am 20. Juli 1954, zehn Jahre nach dem misslungenen Attentat auf Hitler, war es eine Gedenkveranstaltung in West-Berlin, die John für den Grenzübertritt in den Ost-Sektor, die damalige Hauptstadt der DDR, nutzte. Langroths Roman führt für diese Geschehnisse neben historischen auch fiktive Figuren ins Geschehen ein. Das funktioniert, weil das Geschehen eben nicht lückenlos geklärt ist.
Und doch regt das Auftauchen historischer Figuren immer wieder die Auseinandersetzung mit ihnen an. Reinhard Gehlen, erster BND-Chef, zuvor „Organisation Gehlen“ und „Fremde Heere Ost“, ist als Gegenspieler der fiktiven Hauptfigur, Kriminalhauptkommissar Philipp Gerber vom BKA, ein solch „echter Mann“. Seine Präsenz im Roman lässt auch Raum für einen spannenden Ausflug in die abgeschottete Agentenstadt in Pullach bei München.
Der 12. Dezember
Weniger bekannt als Gehlen, dennoch gleichfalls historisch ist Henrik Bonde-Henriksen, dänischer Korrespondent im Berlin des Kalten Krieges. Bonde-Henriksen stand John am 12. Dezember 1955 bei seiner Abreise – oder Flucht? – aus Ost-Berlin zur Seite.
Die Causa John: Je mehr Fragen man stellt, je mehr man liest, sie wirft immer neue Fragen auf.
Frank Behrens
Ralf Langroth: Ein Präsident verschwindet, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2022, 374 Seiten, 16 Euro
Foto: Frank Behrens