Der lange Winter

Mittwoch, 6. November 2024. In den USA zeichnet sich der Wahlsieg des 45. Präsidenten ab, der damit zum designierten 47. wird: Donald Trump. In Berlin holt die FDP ihr D-Day-Papier aus der Schublade, um die Ampelkoalition mit SPD und Grünen, die sie seit etwa einem Jahr de facto nur noch obstruktiv begleitet hatte, in die Luft zu sprengen. Der lange Winter beginnt.

Am Abend dieses denkwürdigen Tages Anfang November 2024 wird das tiefe Zerwürfnis in der „Fortschrittskoalition“ offenbar. Und dass die FDP alles andere wollte als ihren Erfolg.

In Deutschland beginnt mit dem Ende der Ampel ein Wahlkampf, auf den die meisten Bürgerinnen und Bürger wohl hätten verzichten können. Den Auftakt macht eine bemerkenswerte Diskussion um den Wahltermin. Dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der Union und der koalitionsbrechenden FDP kann es gar nicht schnell genug gehen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) solle sofort die Vertrauensfrage stellen, um den Weg für Neuwahlen freizumachen. Am Ende lässt der Kanzler sich drängen und wählt zwar nicht den frühesten, aber einen zeitigen Termin am 11. Dezember für die Vertrauensfrage.

CDU-Attacke auf die Bundeswahlleiterin

Nun läuft die Maschinerie an, die Wahlen werden für den 23. Februar 2025 terminiert. Als die Bundeswahlleiterin Ruth Brand mahnt, dass der enge Zeitplan, der auch die freien Tage um Weihnachten und Neujahr umfasst, zu Problemen führen könnte, erntet sie eine aggressive Replik des CDU-Generalsekretärs Carsten Linnemann.

Heute wissen wir, dass wir uns womöglich noch an diese Episode erinnern werden. Denn es sieht so aus, dass ein großer Teil der Auslandsdeutschen es nicht geschafft haben wird, ihre Stimme rechtzeitig zurückzusenden. Der Grund: das enge Zeitkorsett zu Jahresbeginn. Klagen sind zu erwarten und da es Zehntausende betrifft, dürfen wir auf den Ausgang gespannt sein.

Der Kanzler ist spätestens mit der verlorenen Vertrauensfrage eine „lame duck“, wie im Englischen nur eingeschränkt handlungsfähige Regierungschefs genannt werden. Dies ausgerechnet zu einer Zeit, da sich beim wichtigsten Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks tiefgreifende, in Wahrheit dramatische Veränderungen abzeichnen.

Angriff auf den Weihnachtsmarkt

Freitag, 20. Dezember 2024. In Magdeburg steuert der saudische Staatsbürger Taleb al-Abdulmohsen einen geliehenen BMW X3 in den unzureichend gesicherten Weihnachtsmarkt. Sechs Menschen sterben, mindestens 299 Menschen werden teils schwer verletzt. Böse Erinnerungen an den Breitscheidplatz 2016 werden wach. Das Entsetzen ist wie auch schon nach den Anschlägen von Mannheim (31. Mai 2024) und Solingen (23. August 2024) groß. Die Diskussion verengt sich schnell auf Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber.

Dabei passt Abdulmohsen überhaupt nicht in dieses Schema. Er ist ein anerkannter Asylbewerber, der seit rund 20 Jahren in Deutschland lebte und als Psychiater arbeitete. Er hatte es zu kleinem Ruhm als angeblicher Fluchthelfer gebracht, der verfolgte Frauen aus seinem Heimatland zur Ausreise in den Westen verhalf. Es gab Interviews mit ihm zu diesem Thema unter anderem in der Frankfurter Allgemeinen.

Auffälliger aber war seine latente Aggression, die er insbesondere gegen deutsche Behörden hegte. Generell warf er der Bundesrepublik vor, zu nachsichtig mit Islamisten umzugehen. Das kann man diskutieren, weniger seine Gewaltandrohungen, die ungefähr ein Jahr vor der monströsen Mordtat von Magdeburg in eben der Ankündigung einer solchen gipfelten. Die Drohungen hatte er in verschiedenen Bundesländern geäußert, was wiederum auf ein spezifisches Problem der Bundesrepublik mit potenziellen Tätern hindeutet.

Irgendwann hatte Abdulmohsen begonnen, wohl aus seiner Ablehnung des Islamismus und des Islam heraus, mit der AfD zu sympathisieren. Auch das zeigten seine Profile in den sozialen Netzwerken, insbesondere Twitter/X. Und es hielt die Führerin der migrantenfeindlichen Partei nicht davon ab, nach Magdeburg zu reisen und den Täter bei einer inszenierten Trauerveranstaltung der besonders geschmacklosen Art als „Islamisten“ zu bezeichnen, der längst hätte abgeschoben werden müssen. Was kümmert Alice Weidel und ihre Partei die Realität?

Was kümmert Populisten und Faschisten die Realität?

Nichts. Genauso wenig wie Elon Musk, der sich in diesen Tagen anschickte, sein inoffizielles Amt des Sparkommissars der rechtsextremistischen Trump-Administration anzutreten. Musk, der in Grünheide bei Berlin eine Autofabrik betreibt, beleidigte in seinem Netzwerk X den deutschen Bundeskanzler als „unfähigen Narr“, der zurücktreten müsse. Der Techmilliardär, dessen Posts zuvor auch vom Attentäter geteilt worden waren, entdeckte in diesen Adventstagen seine Liebe zum deutschen Faschismus. Nur die AfD könne Deutschland retten, tönte es aus den Staaten.

In der Folge, am 10. Januar 2025, gab es ein als Interview beworbenes Live-Special auf X mit Musk und Weidel. Weidel nutzte den Auftritt dazu, öffentlichkeitswirksam gegen einen Baum zu pinkeln und Adolf Hitler als „Kommunisten“ zu bezeichnen. Der Wahlkampf der deutschen Rechtsextremisten war eröffnet und präsentierte mit Weidels Hitler-Aussage gleich die passende Provokation. Einige Tage später folgte die nächste als die AfD-Chefin auf dem Wahlparteitag in eine Hassrede gegen Windräder verfiel, die in der Sequenz „Nieder, nieder, nieder!“ gipfelte.

Seither ist Weidel nicht mehr aus den öffentlich-rechtlichen Medien verschwunden; kaum eine Talkshow oder eines der zahlreichen Duell- und Diskussionsformate des Winterwahlkampfs 2025 mochte auf sie oder ihren Co-Parteichef Tino Chrupalla verzichten. Egal wie offensichtlich die Falschaussagen, egal wie obszön die Lügen – die Quote erfordert die ultimative Provokation. Und sei es eine faschistische. WDR-Intendantin Kathrin Vernau verstieg sich gar zu der Aussage, sie wolle auch Björn Höcke in ihrem Programm sehen, den berüchtigten Thüringer Regionalführer der AfD. Der Ton dieses Wahlkampfs war gesetzt.

WDR-Intendantin Vernau will Höcke

Montag, 20. Januar 2025. In Washington wird Donald Trump in sein Amt als 47. Präsident der Vereinigten Staaten eingeführt. Neben den noch lebenden Ex-US-Präsidenten, der römischen Postfaschistin und Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und AfD-Chrupalla ebenfalls anwesend: die Tech-Milliardäre Elon Musk, Jeff Bezos und Mark Zuckerberg. Dieser hatte kurz zuvor von frischer maskuliner Stärke fabuliert und angekündigt, Faktenchecks auf seinen Meta-Plattformen ganz im Musk’schen X-Stil abzuschaffen. Das Signal war gesetzt und der amerikanische Techfaschismus geboren. Musk wird an diesem Tag umgehend damit beginnen, Washingtoner Regierungsbehörden mit Hilfe eines jugendlich-maskulinen Rollkommandos („DOGE“) zu zerschlagen.

Mittwoch, 22. Januar 2025. Aschaffenburg. Ein afghanischer Asylbewerber greift in einem Park eine Kindergartengruppe mit einem Messer an. Ein zweijähriger Junge mit marokkanischem Migrationshintergrund stirbt, ebenso ein 41jähriger zur Hilfe geeilter Passant. Ein zweijähriges Mädchen syrischer Herkunft wird schwer verletzt. Der Täter ist 27 Jahre alt, wegen Gewalttaten aufgefallen, in psychiatrischer Behandlung und ausreisepflichtig. Seine Psychopharmaka werden später in seiner Unterkunft gefunden, er hat sie offenbar nicht genommen.

Merz kooperiert  mit der AfD

CDU-Spitzenkandidat Merz nimmt das Geschehen zum Anlass, sein Wort zu brechen. Er hatte versprochen, Anträge nur im Einvernehmen mit den verbliebenen Regierungsfraktionen ins Parlament einbringen zu wollen. Das ändert sich nun, da er die Chance sieht, sich mit Hilfe der Gewalttaten zu profilieren. Symbolpolitik soll ihm in dieser Lage einen Vorteil verschaffen. Sein Entschließungsantrag sieht unter anderem Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber, dauerhaft geschlossene Grenzen und Zurückweisungen Asylsuchender vor. Ihm sei es egal, wer zustimme, so Merz, dieses Vorgehen befehle ihm sein Gewissen.

In der letzten Januarwoche kommt es dann zum Showdown im Bundestag. Den folgenlosen Entschließungsantrag bringen CDU/CSU, FDP und AfD gemeinsam durch, einen Gesetzentwurf gegen den Familiennachzug verlieren sie aufgrund von Abweichlern in den eigenen Reihen. SPD und Grüne werfen Merz Zusammenarbeit mit der AfD vor, die Union gibt Rot-Grün die Schuld – sie hätten ja Merz‘ Antrag zustimmen können. Demokratie als Erpressung. Das Klima ist nachhaltig vergiftet. Die AfD ist der einzige Gewinner der Merz’schen Showanträge und sie kostet den Triumph genüsslich im Parlament aus. Zwei Millionen Menschen gehen in diesen Tagen gegen den Tabubruch des deutschen Konservatismus auf die Straße. Weidel, Chrupalla & Co. werden weiter in die Talkformate der Öffentlich-rechtlichen eingeladen.

Sicherheitsexperten wie der grüne Innenpolitiker Konstantin von Notz weisen auf die Absurdität der Debatte hin. Die Anschläge wirkten gleich, unterschieden sich aber in vielen Details. Was sich allerdings wie ein roter Faden durch die Geschehnisse ziehe, sei das Nicht-Erkennen von Gefährdungspotenzialen. Die dezentrale, föderale Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik, die nach 1945 gewollt war, ist heute ein Problem. Es gibt 16 Landeskriminalämter, 16 Landesämter für Verfassungsschutz, das BKA und das Bundesamt für Verfassungsschutz. Dazu Militärischen Abschirmdienst (MAD) und BND. Oft mangele es sogar an kompatibler IT, was die Kommunikation ungeheuer erschwere.

Anschlag in München

München, 13. Februar 2025. Ein Pkw der Marke Mini fährt von hinten in einen Demonstrationszug der Gewerkschaft ver.di. Zwei Menschen sterben, mindestens 39 werden teils schwer verletzt. Die Opfer: eine 37jährige Ingenieurin der Stadt München, geboren in Algerien und ihre zweijährige Tochter. Die 37Jährige hatte sich zeitlebens gegen Rassismus und Ausgrenzung engagiert. Der Täter: ein abgelehnter, aber geduldeter afghanischer Asylbewerber. Im Netz aktiv als Fitness-Influencer, posiert er wiederholt mit seinen oder fremden Autos, darunter dem späteren Tatfahrzeug, teilt aber auch religiöse Inhalte. Seit vergangenem Herbst soll er sich stark radikalisiert haben, es ist die Rede davon, dass er pleite war.

„Was wir von dem jungen Afghanen wissen, der am 13. Februar in München eine Mutter und ihr zweijähriges Kind mit dem Auto angefahren und so schwer verletzt hat, dass beide wenig später verstarben, spricht erst einmal für Normalität: Er war 24 Jahre alt, hatte als Ladendetektiv und im Sicherheitsdienst gearbeitet, ein schickes Auto, er postete seinen trainierten Körper in den sozialen Medien, hatte Erfolg in Bodybuilding-Wettbewerben. Muskeltraining hilft, innere Unsicherheit zu bewältigen, sich einen Körper zu bauen, der kritischen Blicken standhält. Angesichts einer traumatischen Vorgeschichte als unbegleiteter Minderjähriger hatte der Täter von München manches erreicht. Aber er war pleite, und ihm drohte die Ausweisung. Er war zwar nicht ausreisepflichtig, aber seine Duldung endete im April 2025. In den Medien war überall die Rede von Abschiebung, seit ein anderer Afghane in Aschaffenburg gemordet hatte.“

(Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer auf sueddeutsche.de, 18. Februar 2025)

Am 14. Februar hält US-Vizepräsident J. D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz eine Rede, in der er die europäischen Verbündeten und insbesondere Deutschland beschuldigt, Angst vor dem eigenen Volk zu haben und die Meinungsfreiheit zu beschneiden. Recht unverhohlen stellt er eine Verbindung her zwischen amerikanischen Sicherheitsgarantien für Europa und einem Wohlverhalten, was die Tolerierung von Hassrede etwa in sozialen Medien betrifft. Einen Tag zuvor war die US-Nachrichtenagentur AP von den Pressekonferenzen des Weißen Hauses ausgeschlossen worden, weil sie den Golf von Mexiko weiterhin Golf von Mexiko nennt.

Trump lässt die Ukraine fallen

Wenige Tage nach der Attacke auf die europäischen Verbündeten lässt Präsident Trump, der in diesem Winter bereits Gebietsansprüche auf Grönland, Kanada, die Panama-Kanalzone und den Gazastreifen angemeldet hatte, die Ukraine fallen. Deren Präsident Selenski sei ein Diktator. Er hätte die drei Jahre Krieg längst zu einem Deal nutzen können. In Saudi-Arabien hatten erste Gespräche von Unterhändlern der USA und Russlands über die Ukraine stattgefunden. Sahra Wagenknecht vom Bündnis Sahra Wagenknecht und AfD-Chefin Weidel begrüßten die Gespräche in der Wahlkampf-„Schlussrunde“ von ARD und ZDF am 20. Februar

Elon Musk posiert am gleichen Tag mit einer Kettensäge auf dem Rechtsextremisten-Treff CPAC. Bereits im November hatte der geschasste Finanzminister und D-Day-Stratege Christian Lindner gefordert: „Wir sollten mehr Musk und Milei wagen!“ Woraufhin seine linke Hand Marco Buschmann (mbsounds) Entwarnung in der ZDF-Talkshow „Lanz“ gab: „Wir werden nicht mit Kettensägen durch Berlin laufen.“ Es gehe lediglich um Disruption.

Am Freitag, den 21. Februar 2025 sticht ein bislang Unbekannter am Holocaust-Mahnmal in Berlin einen spanischen Touristen nieder. Der 30jährige überlebt den Angriff schwer verletzt. Bereits nach dem Anschlag von München war von nicht wenigen gefragt worden, ob die regelmäßigen Anschläge während des kurzen Winterwahlkampfs wirklich ein Zufall seien.

Am Sonntag, den 23. Februar 2025 wird gewählt. Klare Mehrheiten und eine einfache Regierungsbildung scheinen ausgeschlossen. Die Machtergreifung des Techfaschismus in den USA läuft auf Hochtouren. US-Talkkönigin Oprah Winfrey geht ins Exil. Nach Italien. Ausgerechnet. Der Winter ist noch lange nicht zu Ende.

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